Montag, 16. April 2018

Gibt es die faschistische Fantasy? (Teil 5)

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Der Nationalsozialismus, und darin ist er anderen Faschismen vergleichbar, sah sich als eine mythopoetische Weltanschauung an. Er beanspruchte, sein Wissen und seine Legitimität aus alten Mythen zu beziehen und diese für die Gegenwart relevant zu machen. Am Beispiel Alfred Rosenbergs ließ sich das gut zeigen. Rosenberg postulierte einen ewigen Kampf zwischen dem Ariertum und ›Syrien‹ (womit er letztlich das Klischee vom Orient meint). Hinter dieser Behauptung steckt die Pseudowissenschaft der Rassenkunde, die die gesamte Weltgeschichte durch einen dauerhaften Konflikt zwischen arischen und semitischen Menschen geprägt sieht.

Für Rosenberg kam es darauf an, diesem angeblich alten Mythos Aktualität zu verleihen, aus ihm einen neuen Mythos zu machen, der den Menschen der Gegenwart eine umfassende Weltanschauung verleihen würde – eben einen Mythus des 20. Jahrhunderts, wie der Titel von Rosenbergs Hauptwerk lautete. Zu diesem Zweck spekuliert er ausführlich über das Wesen seiner Atlantiden: Sie hätten das Licht und die Sonne verehrt, eine strikt patriarchal strukturierte Gesellschaft und einen Drang zur Welteroberung gehabt. Es liegt auf der Hand, dass Rosenberg sich genau dies auch für die Deutschen des 20. Jahrhunderts wünscht. Auf der anderen Seite hätte der ›syrische‹ Osten finstere Magie und blutige Rituale betrieben, in matriarchaler Promiskuität gelebt und sich die Welt durch Handel und Betrug untertan gemacht. Und natürlich hat auch ›Syrien‹ seine gegenwärtigen Inkarnationen: die katholische Kirche, das Judentum, den Bolschewismus.

Rosenberg ist mit seinem Ziel gründlich gescheitert. Aus seinem Mythus des 20. Jahrhunderts entstand keine verbindliche Weltanschauung. Das Buch wurde im Dritten Reich massenhaft verkauft und ebenso selten gelesen. Die faschistische Ideologie ist viel zu vage und irrational, als dass sie sich in ein auch nur einigermaßen kohärentes System fügen ließe. Andere Nazis ließen Rosenbergs Nationalatlantismus deshalb links liegen und suchten sich andere Neo-Mythologien. Die einen beschäftigten sich mit der Welteislehre, andere versuchten sich an der Entwicklung einer »arteigenen Religion«. Wieder andere hielten all das für ausgemachten Quatsch und behaupteten, es käme allein auf den Erfolg an, der der »nationalen Bewegung« schon recht geben würde.

Ein Problem Rosenbergs war, dass er sich für einen unübertroffen genialen Denker hielt und – im Unterschied zu anderen NS-Größen, die gewiefte Intriganten waren – an einem ausgeprägten Mangel an Realitätssinn litt. Hätte er mit einem Fuß in der Wirklichkeit gestanden, wäre ihm vielleicht aufgegangen, dass seine Atlantisspekulationen keineswegs der Stoff intellektueller Großtaten, sondern Material für Pulp-Literatur waren. Atlantis ist uns heute vor allem aus den Pulp-Werken von Rosenbergs Zeitgenossen aus den USA, Edgar Rice Burroughs und Robert E. Howard, bekannt. Auch in den Heftromanen, dem deutschen Äquivalent zu den US-Pulps, ging es mitunter um Atlantis (wie bereits am Beispiel Lok Mylers erläutert). Konsequenterweise verfolgte Rosenberg Trivialliteratur jeglicher Art mit glühendem Hass, unterstellte ihr Verderbnis der Jugend und Amerikanisierung des Geistes.

Rosenberg ist somit ein Beispiel für einen Versuch faschistischer Mythopoeia, der aber an seinen inneren Widersprüchen erstickte. Dennoch hatte Rosenberg in den endlosen Machtkämpfen der NS-Kulturpolitik seine überzeugten Mitstreiter_innen und förderte durchaus auch Versuche, seine Vorstellungen literarisch umzusetzen. Dazu aber erst später mehr. Vorerst genügt es festzuhalten, dass Rosenberg weder in seinem Kampf gegen Heftromane (die allen Eindämmungsversuchen zum Trotz Massenlektüre blieben) wirklich erfolgreich war, noch die Entstehung einer eigenständig nationalsozialistischen Trivialliteratur etwas entgegensetzen konnte.

Der Frage, aus welchen Quellen bzw. literarischen Traditionen diese eigenständige NS-Fantasy entstehen konnte, will ich mich nun zuwenden. Verschiedene Stränge der Literaturgeschichte scheiden aus: Der Heftroman war zwar beliebt, aber offiziell verpönt. Andererseits gilt die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als Hochzeit der deutschsprachigen Phantastik. Deren Autor_innen waren im Dritten Reich aber als sexbesessen und dekadent verschrien. Ihr Interesse an Magie und Erotismus entsprach zu sehr der Haltung, die ein Rosenberg als ›syrisch‹ verfluchte. Letztlich konnten nur wenige dieser Autor_innen sich erfolgreich in den NS-Kulturapparat integrieren. Auch auf diese Ausnahmen wird noch einzugehen sein.

Nun komme ich aber zum Punkt. Es gab ein Milieu im Dritten Reich, in dem eine eigenständige Art mythopoetischer Literatur gedeihen konnte. Dieses Milieu war die SS, und der Grund für das Gedeihen dieser Literatur war vor allem die Förderung der Welteislehre durch die SS. Heinrich Himmler pflegte als Reichsführer-SS eine Vorliebe für allerlei esoterische Theorien und Praktiken (was seiner Tätigkeit als Organisator der Massenvernichtung übrigens nicht im Weg stand). Begeisterte Himmler sich für irgendeine abwegige These, trug er ihrem Vertreter eine SS-Mitgliedschaft an und nahm ihn in seinen persönlichen Stab auf, der mit der Zeit zu einer Art Panoptikum des verqueren Denkens entwickelte.

Die Welteislehre (WEL) ist, wie bereits erwähnt, die Erfindung des österreichischen Ingenieurs Hanns Hörbiger. Dessen treuester Jünger wurde der Amateur-Astronom Philipp Fauth (1867–1941), der sich damit abmühte, Hörbigers unübertroffen wirres Gedankenspiel in eine einigermaßen übersichtliche Form zu bringen. Hörbigers Vorstellungen, die er durch Intuition gewonnen haben will, in ihren Grundzügen darzustellen, ist gar nicht so leicht. Ich will es trotzdem versuchen.

Hörbiger behauptete, das Universum bestehe aus den Grundstoffen Feuer und Eis. So sei das Universum denn auch durch den Zusammenprall einer gigantischen Eismasse mit einer ebensolchen Masse aus Feuer entstanden. Das Weltall sei kein leerer Raum, sondern mit winzigen Eispartikeln angefüllt, die bei dem ursprünglichen Zusammenstoß verstreut wurden (das ist Hörbigers Abwandlung der längst obsoleten Äthertheorie). Der Widerstand dieser Eispartikel bewirke, dass die Himmelskörper immer wieder in ihren Bahnen gehemmt würden und infolgedessen in die Umlaufbahnen anderer Himmelskörper gerieten. So war der Mond Hörbiger zufolge anfangs ein eigener Planet, den es in das Gravitationsfeld der Erde verschlug. Aber auch im Orbit seien die Bahnen von Himmelskörpern aufgrund der Eispartikel instabil, weshalb es immer wieder zu gewaltigen Zusammenstößen zwischen Himmelskörpern komme.

Hörbiger meinte, in der Erdgeschichte habe es schon eine ganze Anzahl solcher kosmischen Katastrophen gegeben, bei denen jedesmal große Mengen Feuer und Eis auf die Erdoberfläche geschleudert worden seien. In der Folge hätte sich jedesmal die Gestalt der Meere und Kontinente verändert. Antike Berichte über ferne, untergegangene Reiche wie Atlantis, Thule und Hyperborea nahm Hörbiger als Beweis dafür, dass es auf der Erde eine ganze Reihe vergessener Zivilisationen gegeben habe, die in den regelmäßig wiederkehrenden Kataklysmen zerstört worden seien.

Atlantis kommt also nicht nur bei Rosenberg vor, sondern auch in der WEL, allerdings gibt es bei Hörbiger und seinen Anhänger_innen noch einen zusätzlichen Twist: Der arische oder nordische Mensch sei nicht einfach auf evolutionärem Weg aus anderen Arten entstanden, sondern sein Protoplasma sei, eingefroren in kosmischen Eisbrocken, direkt aus dem Weltall auf die Erde gelangt. Er hat also nicht einfach nur eine Urheimat in Atlantis, sondern ist eine Art außerirdische Superspezies. Himmler gefiel diese Vorstellung (Berichten aus seinem Umfeld zufolge) ausnehmend gut.

Hörbigers Hauptwerk Glazial-Kosmogonie erschien erstmals 1912. Schnell bildeten sich WEL-Zirkel und -Vereine. Die Wissenschaft wies Hörbigers Spintisieren von Anfang an zurück. Die Beliebtheit der WEL führte aber dazu, dass schon in den zwanziger Jahren ausführliche Widerlegungen Hörbigers in Sachbuchform erschienen. Die Jüngerinnen und Jünger störten sich nicht an dem Widerspruch. Vielmehr verlegten sie sich darauf, naturwissenschaftliche Fakultäten zu stürmen und lautstark zu verlangen, die WEL solle in die Lehrpläne aufgenommen werden. Im Unterschied zu anderen Pseudowissenschaften wie der Rassenkunde und der Deutschen Physik gelangte die WEL aber nie zu einer akademischen Institutionalisierung.

Aber während die Universitäten sich gegen die WEL wehrten, rannte Hörbigers Gefolgschaft beim Reichsführer-SS offene Türen ein. Fauth, der Hörbiger-Jünger der ersten Stunde, erhielt 1938 eine eigene Abteilung für Astronomie im Deutschen Ahnenerbe, Himmlers halboffiziellem Forschungsinstitut für Menschenversuche und allerlei Pseudowissenschaften. Zusätzlich unterhielt das Ahnenerbe eine Abteilung für »Wetterkunde«, die mit meteorologischen Mitteln die Stichhaltigkeit der WEL beweisen sollte. Mit Beginn des Krieges schlief das Interesse an der WEL allerdings ein. Hörbigers kosmische Katastrophenvisionen ließen sich schließlich kaum militärisch verwerten.

Das heißt aber nicht, dass die WEL vollständig von der Bildfläche verschwand. Im Verlauf der dreißiger Jahre hatten verschiedene Welteisgläubige sich nämlich darauf verlegt, Hörbigers Gedankengut in Romanform zu verarbeiten. Schriftsteller wie der Geologe Batti Dohm (1897–1977) und der Möchtegern-Archäologe Edmund Kiss schrieben Welteisromane, die teils noch zu Kriegszeiten in Neuauflagen erschienen. Von der etablierten – auch regimetreuen – Literaturkritik wurden diese Werke teilweise eher naserümpfend angesehen. Anderen entlockte die WEL-Belletristik wahre Begeisterungsstürme:
»Edmund Kiß!« – Das war doch der Schriftsteller, der mir mit dem edlen Gehalt seiner Romane so unendlich viel gegeben hatte. Der damit die Einstellung vieler junger Menschen bestimmte und auch heute noch bei all jenen, die sich ihre Anständigkeit bewahrt haben, Saiten zum Klingen bringt! Ich konnte es kaum erwarten, bis die Reihe an mich kam, und ich zu ihm hinübergehen durfte. Zweifel packte mich, ob es sich nicht um eine zufällige Namensgleichheit handeln würde, oder dass ich mich verhört haben könnte. Doch es stimmte. Es war [...] Edmund Kiß, der SS-Obersturmbannführer, zeitweiliger Kommandant der Wachmannschaft des Führerhauptquartiers, der sich mit der Erforschung der Strandlinien von Tibesti in der Sahara und in den Hochkordilleren in Südamerika einen Namen gemacht hatte; Edmund Kiß, der Verfechter der Welteislehre des Wiener Gelehrten Hanns Hörbiger, der Sänger des untergegangenen Reiches Atlantis.
So die Erinnerungen eines Fans an eine Begegnung im Kriegsgefangenenlager 1946, die Joachim Körber hier zitiert.

(Und es geht weiter.)

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.